BILDUNG IN BEVERUNGEN
WILLKOMMEN IM WESERBERGLAND

Interview

"Wer weiß, wovon er spricht, kann auch reden..."


Wirtschafttheorie ist "starker Tobak". Dass die Beschäftigung damit sogar Freude machen kann, ist die positive Bilanz von Harm Dierkes, BR-Vorsitzender beim Pumpenhersteller Sterling Sihi aus Tönning, und Sandra Künitzer, Betriebsrätin bei Halberg Maschinenbau und ehrenamtliche Referentin der IG Metall Ludwigshafen-Frankenthal.

Hier ein interessantes Interview nach der Woche in Beverungen zu dem »Seminarmodul nach überarbeitetem Konzept "Ökonomische Grundkenntnisse" im Rahmen von BR und VL kompakt.

Matthias Ebenau: Erzählt doch zum Einstieg einmal allgemein, wie euch das Seminar gefallen hat.

Sandra Künitzer: Also, es war unheimlich spannend, gerade, wenn man wie ich mit wenigen Vorkenntnissen kommt. Gleich zu Anfang die unterschiedlichen ökonomischen Denkschulen kennenzulernen fand ich sehr hilfreich.

Harm Dierkes: Ich fand vor allem die Strukturierung total gut: jeder konnte sich ein Thema aussuchen, mit dem er sich intensiv beschäftigen wollte. Das ist in anderen Seminaren nicht unbedingt so. Ich habe zum Beispiel als Betriebsrat schon mal bei der "Konkurrenz", außerhalb der IG Metall, Seminare besucht, da läuft das zum Teil ganz anders. Das hat mir hier sehr gut gefallen.

Sandra: Das finde ich überhaupt das Schöne an dem Bildungskonzept, das ich als frisch ausgebildete Referentin ja jetzt auch näher kennengelernt habe - nicht dieses klassische Schulsystem, nach dem Motto: ich bin der, der's weiß und ich erzähl's euch jetzt. Stattdessen gestalten wir die Seminarpläne selbst, erarbeiten uns viele Inhalte eigenständig, können uns als Teilnehmende gut ausprobieren, zum Beispiel auch beim Vortragen. Es ist ja auch ein geschützter Raum und dementsprechend traut man sich mehr.

Harm: Dieses Modell des Lernens war für mich auf jeden Fall komplett neu und hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Matthias: Würdet ihr denn sagen, dass der Themenplan, den wir gemeinsam erarbeitet haben, auch für eure persönlichen Erwartungen an das Thema "Ökonomische Grundkenntnisse" sinnvoll und hilfreich war?

Sandra: Auf jeden Fall, das hat alles gut gepasst. Auch Themen wie zum Beispiel Burnout, Stressbelastungen und so weiter sind ja im weiteren Sinne ökonomische Themen. Ich habe mir nur nicht vorstellen können, dass die vielen Themen, die wir mitgebracht haben, wirklich alle in die Woche hineinpassen würden. Da hat natürlich auch das arbeitsteilige Vorgehen geholfen. Aber da habe ich am Anfang schon gezweifelt und es hat mich dann sehr überrascht, wie gut das geklappt hat, das alles untergekommen ist.

Harm: Ich glaube, der Allgemeinheit fällt es zum Teil schwer, ökonomische Hintergründe zu verstehen. Das ist in diesem Seminar unwahrscheinlich deutlich geworden, indem wir Themen, die uns alle angehen, durchleuchtet und auch wirklich erklärt haben. Das war für mich sehr wichtig und hat mir an der einen oder anderen Stelle auch eine neue Blickrichtung eröffnet. Viele Sachen kann ich für meine Betriebsratsarbeit gut gebrauchen. Ich habe das Gefühl, dass ich bei anderen Themen jetzt nochmal fundierter argumentieren kann.

Matthias: Könnt ihr zu dem letzten Punkt vielleicht noch ein bisschen mehr erzählen? Danach wollte ich euch sowieso noch fragen…

Harm: Ich persönlich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass die Schere zwischen Arm und Reich inzwischen auch in Deutschland doch so weit auseinanderklafft, oder dass so viel Schindluder mit Geldanlagen und Fonds getrieben wird - beides Themen, die wir uns im Seminar angeschaut haben. Da schaut man doch auch als Tarifkommissionsmitglied das nächste Mal genauer darauf, wie die Arbeitgeber ihre Forderung begründen.

Sandra: Mir ist es in meiner Praxis als Betriebsrätin oft passiert, dass die Geschäftsleitung mit Sachzwängen argumentiert und versucht, uns in betriebliche Bündnisse zu ziehen, die oft mit Verzicht unsererseits einhergehen. In der Firma, in der ich arbeite, haben wir in den letzten zwölf Jahren unheimlich viel verzichtet, haben als Belegschaft Millionen in das Unternehmen eingebracht. Da wäre ich vielleicht beim nächsten Mal etwas sturer, weil mir auch die Verteilungskonflikte, die hinter Sachzwangargumenten liegen, deutlicher geworden sind. Ich hatte da auf jeden Fall jeden Tag ein paar Aha-Erlebnisse. Das Seminar hilft mir aber sicherlich auch im privaten Umfeld um die ein oder andere Stammtischparole zu widerlegen. Außerdem fand ich es spannend, nicht immer nur die eigene Position zu beleuchten, sondern auch zu überlegen wie jetzt die Gegenseite argumentieren würde, sich also zum Beispiel auch mal mit den Positionen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zu beschäftigen. Das ist ja auch wichtig.

Matthias: Gibt es denn irgendetwas, wo ihr sagen würdet, "das ist mir zu kurz gekommen"? Irgendeine Erwartung, die ihr mitgebracht habt, die nicht erfüllt wurde?

Harm: Nein, da fällt mir jetzt gar nichts ein. Ich habe im Gegenteil viel mehr mitnehmen können als ich eigentlich erwartet hätte.

Sandra: Meine Erwartungen sind auch übertroffen worden. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich an das Thema Wirtschaftspolitik lange nicht herangetraut habe und deswegen erst jetzt auf dieses Seminar gefahren bin. Es hat mich dann aber total positiv überrascht. Die Woche war dann natürlich wie in fast jedem Seminar im Ganzen zu kurz: die Tage dürften länger sein, die Woche dürfte mehr Tage haben - es geht immer viel zu schnell zu Ende.

Klar könnte man methodisch das ein oder andere mal anders machen, da fallen einem hinterher immer Verbesserungsvorschläge ein. Aber was mir in unserem Seminar speziell super gefallen hat war die Simulation einer Betriebsversammlung zum Abschluss. Da ist mir aufgefallen, dass eher die "unerfahrenen" Kollegen sich nach vorne stellen und eine klasse Rede halten und ich mit meinem Anspruch - ich mache ja als Betriebsrätin drei, vier Betriebsversammlungen im Jahr - versuche, frei zu reden und komme ins Schwimmen. Da habe ich mir echt gesagt, Hut ab. Da zeigt sich, was meine Betriebsratsvorsitzende immer sagt: Wer weiß, wovon er spricht, der kann auch reden.

Matthias: Super, das freut mich. Gibt es denn noch irgendetwas, das ihr hinzufügen möchtet, etwas, wonach ich euch noch nicht konkret gefragt habe?

Harm: Ich wollte noch sagen, dass ich es total gut finde, dass dieses Seminar auch als Bildungsurlaubsseminar angeboten wird. Ich kann jedem nur empfehlen, das Angebot auch zu nutzen.

Matthias: Ja, dann danke ich euch für das Gespräch!